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20. December 2011
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10. December 2011
Aufruf von: Bielefeld stellt sich quer!
Gegen den Aufmarsch von Nazis in Bielefeld!
Am 24. Dezember 2011 soll in unserer Stadt ein Nazi-Aufmarsch stattfinden. Nachdem der letzte Versuch im August aufgrund des entschiedenen Widerstands hunderter BielefelderInnen grandios gescheitert ist, hat der einschlägig bekannte Nazi-Aktivist Sven Skoda nun diese Demonstration angemeldet.
Skoda ist kein unbeschriebenes Blatt: nach Erkenntnissen des WDR-Magazins „Westpol“ nahm er am 6. November 2009 an einer Feier der „Kameradschaft Köln“ teil, bei der die drei Nazi-Terroristen aus Zwickau anwesend waren. Dem Nachrichtendienst „blick nach rechts“ vom 11. April 2011 war anlässlich eines Berichtes über eine Nazi-Veranstaltung in Stolberg folgender Satz zu entnehmen: „Sven Skoda aus Düsseldorf erklärte in einer aufpeitschenden Rede, der „Nationale Widerstand“ führe längst einen ‚Krieg‘.“ Erst recht nach den erschütternden Erkenntnissen über die mordenden Nazi-Terroristen und deren Helfershelfer darf es nicht sein, dass Nazis wie Skoda in unserer Stadt marschieren!
Gerade an Heiligabend, dem Vorabend des Festes der Liebe und des Friedens, werden wir deutlich machen, dass in Bielefeld kein Platz für Nazis und deren Sympathisanten ist. Wir setzen ein Zeichen der Gemeinsamkeit und des Miteinanders. Steht auf und macht mit!
Bielefeld ist und bleibt eine tolerante und weltoffene Stadt, in der Menschen aus 150 Ländern friedlich zusammenleben. Für rassistische Parolen und menschenverachtendes Nazi-Gedankengut ist ebenso wenig Platz wie für die Verherrlichung des Nationalsozialismus und populistische Propaganda.
*Deshalb zeigen wie Zivilcourage und stehen auf gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus.
* Gegen den Aufmarsch von Nazis in Bielefeld!
* Wir rufen alle Menschen auf, gemeinsam, friedlich und kreativ gegen den Naziaufmarsch zu demonstrieren.
Am Samstag, 24. Dezember 2011, den Nazis entgegentreten!
NW 09.12.2011: “Polizeipräsident: Neonazi-Demo kaum zu verhindern”
Polizeipräsident: Neonazi-Demo kaum zu verhindern
Bielefeld (gär). Der Polizei steht an Heiligabend in Bielefeld wahrscheinlich ein weiterer Großeinsatz bevor. Intern wird damit gerechnet, dass eine Neonazi-Demonstration, die bereits verboten worden war, noch einmal neu angemeldet wird.
Wenn die Rechten bestimmte Auflagen erfüllen, sehe er absolut keine Möglichkeit, den Aufmarsch zu verbieten, sagte der Bielefelder Polizeipräsident Erwin Südfeld im Interview mit der Neuen Westfälischen.
…
Quelle: http://www.nw-news.de/lokale_news/bielefeld/bielefeld/5515077_Polizeipraesident_Neonazi-Demo_kaum_zu_verhindern.html
Einmal ist keinmal!? (Statement des AJZ)
Diese Binsenweisheit wird gerne für Ereignisse benutzt, die scheinbar nicht von enormer Wichtigkeit sind. Das haben sich anscheinend auch die Nazis gedacht und meldeten innerhalb eines halben Jahres noch einen zweiten Aufmarsch an.
Der erste fand am 06.08.2011 statt und wurde schon wenige Meter nach Beginn erfolgreich blockiert. Da die Nazis dadurch nicht marschieren konnten, kündigten sie direkt nach der Auflösung ihrer Versammlung an, am 24.12.2011, sowie am 31.12.2011 wiederzukommen, um abermals Aufmärsche durchzuführen. Beim ersten Termin wollen die Nazis vom Ostbahnhof am autonomen Arbeiter_innen Jugendzentrum (AJZ) vorbei marschieren. Auch schon ihre versuchte Demonstration im August hatte unser Haus zum Ziel. Unter dem Motto “Straftätern die Räume nehmen - AJZ dicht machen” und mit Forderungen wie dem AJZ Steuergelder streichen zu lassen, wollten sie auf die Straße gehen. Was die Nazis Silvester geplant haben ist bisher nicht bekannt.
Die Forderungen der Nazis sind nicht nur falsch, sondern bloß ein Vorwand und Deckmantel für ihre faschistischen Inhalte. Der Versuch der Nazis ist es, sich mit bürgerlichem Antlitz zum Sprachrohr und Verteidiger der “Volksgemeinschaft” zu machen, für die es kaum ein größeres Verbrechen gibt, als das Verprassen von deutschen Steuergeldern an Linke.
Letztendlich geht es aber um etwas ganz anderes. Es geht darum, für was das Haus steht und das ist etwas, was die Nazis ablehnen und bekämpfen. Den Wunsch nach einem selbstbestimmten, solidarischen und herrschaftsfreien Miteinander, wo niemand von anderen unterdrückt, ausgebeutet und diskriminiert wird. Das AJZ ist der Versuch das hier und jetzt anzupacken und in autonomen Strukturen zu organisieren. Ob das klappt darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Auch die Vorstellungen wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte hat sich im Laufe der Jahre immer mal wieder geändert und wird garantiert nicht einstimmig sein. Aber immerhin wird es seit 38 Jahren hier ausprobiert.
Autonom und sebstbestimmt
Vor 38 Jahren hieß das noch etwas anders. Auch die Bedeutung war nicht ganz dieselbe, doch in den Grundzügen war das Konzept schon angelegt, als am 21. April 1973 das “Haus der offenen Tür” in Brackwede besetzt wurde und von den ca. 300 Besetzer_innen ein selbstverwaltetes und unabhängiges Arbeiterjugend- und Schülerzentrum gefordert wurde. Bereits zu dieser Zeit entwickelte sich der Gedanke der Hausversammlung (HV), ein Gremium, an den alle teilnehmen können und das über alle Belange des Hauses entscheiden sollte. Das Zentrum in Brackwede wurde geräumt, aber geblieben ist das Konzept der HV, welches bis heute Kernstück der autonomen Selbstverwaltung des Arbeiter_innen Jugendzentrums ist. Diese Art der Beschlussfindung und Organisierung findet nicht nur begeisterte Befürworter_innen. Bürgerliche Angriffe auf das AJZ richteten sich nicht zufällig gegen die HV selbst. Gerade kommunale Politiker_innen sahen darin immer wieder ein Problem. So wollte das Jugendamt in den 70ern nicht mit der HV verhandeln und Ende der 80er /Anfang der 90er wurde gar offiziell vom Haus eingefordert, das mit der HV bleiben zu lassen. Aber auch für Menschen, die anfangen sich im Haus zu engagieren, ist diese Art der Selbstverwaltung anfangs oft etwas befremdlich und gewöhnungsbedürftig, denn Entscheidungen zu treffen nach Konsens und nicht nach Mehrheitsverhältnis ist nicht unbedingt gängige Praxis in dieser Gesellschaft.
Welche Steuergelder denn nun eigentlich?
Der Rest der nächsten Jahre ist schnell erzählt: Nach der Besetzung gründete sich der “Verein zur Einrichtung und Förderung eines unabhängigen Arbeiterjugendzentrums Bielefeld-Brackwede e.V.”. Dieser mietete im Jahr darauf Räume in dem Gebäude an der Heeperstr. 132 an. Am 1. Mai 1974 wurden die Räume bezogen und im Jahr 1978 wurde beschlossen das Haus zu kaufen.
In den 70er Jahren durchlebte das Haus den sogenannten Deutschen Herbst, mit Hausdurchsuchungen, Anti-AKW-Bewegung und Verfahren nach §129a. In den 80ern wurde der Punkrock in vollen Zügen durchlebt, mit noch mehr Verfahren, Pressehetze und allem was die Zeit an politischer Arbeit zu bieten hatte. Anfang der 90er krachte es gewaltig. Das Haus sollte sich vom Infoladen, der im AJZ eingemietet ist, distanzieren. Die Schlammschlacht gegen das Haus war groß und erst recht der daraus resultierende Druck. Dem wurde aber nicht nachgegeben und so verlor das AJZ die finanzielle Unterstützung durch Stadt und Land und behielt dafür den Infoladen als Mieter. Seit den letzten 20 Jahren trägt sich das Haus, als autonomes Zentrum, bewusst selbst. Auch der Infoladen ist ein selbstverwaltetes Projekt. Hier werden unterdrückte Informationen jenseits der herrschenden Meinungen zur Verfügung gestellt. Er ist ein Ort an dem Leute sich treffen können um zu diskutieren oder sich zu organisieren. Außerdem hat er jede Menge Kleinkram für den subversiven Alltag.
Trotz alledem…
So einfach sich die Historie des Hauses oben beschreiben lässt, so einfach war die Geschichte natürlich nicht. Kämpfe hinterlassen Spuren und auch Opfer und die Vielzahl der Auseinandersetzungen im und um das Haus haben zuweilen tiefen Narben hinterlassen. Die Kämpfe gehören zum Alltag des Hauses, genau so wie Wasserrohrbrüche und kalte Räume. Etliche Male wurde das AJZ angefeindet und angegriffen. Vielen war und ist das Autonome Zentrum ein Dorn im Auge. Die Beweggründe dafür werden unterschiedlich sein. Einige ärgern sich einfach nur drüber, dass sie wegen sexistischer Sprüche oder ähnlichem nicht akzeptablen Verhalten rausgeflogen sind, andere können einfach nicht mit Kritik umgehen und es wurmt sie, dass sich das Haus auch immer wieder in gesellschaftliche Verhältnisse einmischt und positioniert. Ein Beispiel hierfür ist die Beteiligung des AJZ an der Kritik an den rassistischen und sexistischen Darstellungen der Ultimo. So geriet es immer wieder in die Schusslinie, da es von einigen als “Hort des Bösen” mit Utopien gesehen wird, die die gesellschaftliche Ordnung auf den Kopf stellen könnten.
Es wäre vermessen zu behaupten, dass alle im AJZ die Welt auf den Kopf stellen wollen, dieselben Utopien haben oder jene auch noch gleich auslegen. Nein, das würde ein Bild vermitteln, dass dem Haus nicht gerecht werden würde. Viele Interessen und politische Vorstellungen prallen dort aufeinander und es wurde sich mehr als einmal erbittert auf der Hausversammlung gestritten, aber trotz alledem gibt es einen Konsens, eine Art Richtschnur, die, für die einen zu hoch für die anderen zu niedrig gespannt, das Miteinander im Haus bestimmen soll.
Das ist unser Haus
Dieser Konsens hängt unscheinbar auf einem Schild im Eingangsbereich des Hauses:
“Wir wollen hier keine sexistische, rassistische, homophobe, sogenannte behindertenfeindliche oder andere Diskriminierung! Egal ob Wort, Tat oder Bild!
Falls du diskriminierendes Verhalten beobachtest oder selbst Opfer davon wirst — greif ein, wehr dich, mach die Anmache oder den Angriff gleich öffentlich oder wende dich an die Leute hinter den Theken oder der Kasse — diese werden dich unterstützen!
Nehmt Rücksicht aufeinander und respektiert die Grenzen der anderen Besucherinnen und Besucher!”
Es ist vielleicht nicht viel was dort geschrieben steht und einige werden darüber lächeln, andere sich beschweren, dass in der Aufzählung einzelne Sachen nicht benannt werden, aber verglichen mit der gesellschaftlichen Realität ist es enorm und letztendlich in seiner Kernaussage, keinerlei Diskriminierung zu akzeptieren, allumfassend. Mit diesem scheinbar Wenigen aber haben die Menschen im AJZ etwas formuliert, das der Ideologie der Nazis vehement und radikal gegenübersteht. Diese Vorstellung, die sich eben auch nach außen trägt, beinhaltet die absolute Gegnerschaft zu rassistischen, antisemitischen, islamophoben, antiziganistischen, sozialchauvinistischen, sexistischen, homophoben oder sonstwie menschenverachtenden oder diskriminierenden Anschauungen.
Dass die Umsetzung der Ansprüche und Vorstellungen von Autonom, Selbstbestimmt, Konsens und des Anspruchs keinen Menschen zu Diskriminieren und keinerlei Diskriminierung zuzulassen, leicht ist, hat niemand behauptet. Ob es funktioniert gilt es immer wieder aufs Neue herauszufinden. Aber letztendlich ist es so, dass das Haus, das AJZ, auch nur aus Steinen besteht, die Ideen werden von den Menschen darin umgesetzt und das Haus ist nur das was die Menschen daraus machen…
Macht was draus!
Es gibt tagtäglich genug gute und richtige Gründe auf die Straße zu gehen. Am 24.12.2011 gibt es einen dieser Anlässe: den geplanten Naziaufmarsch verhindern. Dabei geht es uns nicht darum, dass die Nazis an diesem Tag gegen das Haus mobilisieren, sondern wir finden es wichtig, egal wo und warum sie auf die Straße gehen sich dem entgegenzustellen und den menschenverachtenden Anschauungen der Nazis keinen Raum zu gewähren. Dazu fordern wir alle Leute auf.
Die Hausversammlung des AJZ Bielefeld
Nazistopping Aufruf zu den Aktivitäten gegen die Naziaufmärsche im Dezember 2011 in Bielefeld
Nachdem ein Naziaufmarsch am 6. August 2011 erfolgreich am Bielefelder Hauptbahnhof blockiert wurde, hat der regionale Nazikader Marcus Winter angekündigt, dass er am 24.12. und 31.12. wieder kommen wolle. Nachdem Winter die Anmeldung zurückgezogen hatte, meldete Sven Skoda, ein ebenfalls bekannter Nazikader aus dem Rheinland, erneut einen Aufmarsch für den 24.12. an: Die Nazis wollen gegen „Repression und das AJZ Bielefeld” demonstrieren. Ob am 31.12. ein weiterer Aufmarsch stattfinden soll, ist noch unklar.
Die Anfang August versuchte Demonstration sollte im Anschluss an den geschichtsrevisionistischen sogenannten „Trauermarsch“ in Bad Nenndorf stattfinden, der sich in den letzten Jahren zu einem der größten Naziaufmärsche in der BRD entwickelt hat.
Der Aufmarsch am 24.12. richtet sich gegen das Arbeiter_innen Jugend Zentrum Bielefeld (AJZ). Die Route soll vom Ostbahnhof zum AJZ verlaufen. Das AJZ ist ein autonomes Zentrum, das im Rahmen der Jugendzentrumsbewegung Anfang der 70er Jahre durch eine Besetzung erkämpft wurde. Anstelle von staatlich geförderter und verwalteter Jugendarbeit unter Anleitung von Sozialarbeiter_innen steht es für selbstverwaltete Kultur und Politik, die nach den Maßgaben der Aktivist_innen gestaltet wird. Dabei ist „das AJZ” keine fest definierte Einheit, sondern immer das, was die Leute, die sich in diesem Projekt engagieren oder die es nutzen, daraus machen. Seit seinem Bestehen wird es als ein linkes Projekt und Freiraum gesehen, in dem der Anspruch besteht, verschiedene gesellschaftliche und staatliche Zwänge und Machtverhältnisse zu hinterfragen und auszuhebeln. Da die Aktivist_innen und Nutzer_innen auch Teil der herrschenden Verhältnisse sind, kann es immer nur der Versuch sein, dies zu erreichen. Dabei werden die Entscheidungsfindungen für alle Interessierten offen und nach dem Konsensprinzip gestaltet. Weil es eine autonome Struktur ist, in der alle Beteiligten gemeinsam immer wieder neu über den Kurs bestimmen können, gibt es keine ewigen und unveränderlichen Statuten. Das AJZ bietet einen Raum, um ein solidarisches und selbstbestimmtes Miteinander denkbar und erlebbar zu machen.
Gegen solche selbstbestimmten und herrschaftsfreien Strukturen wollen die Nazis demonstrieren. Sie treten hier nicht nur als Gegner_innen der Linken, sondern aller emanzipatorischen Möglichkeiten und Bestrebungen überhaupt auf. Die fortwährend von Nazis durchgeführten Aufmärsche dürfen nicht jeweils für sich allein, sondern müssen als Instrument der versuchten Einflussnahme auf gesellschaftliche Prozesse betrachtet werden. Egal wann, wo und unter welchem Motto Nazis in Erscheinung treten, Ziel ist seit jeher nicht das jeweils auf die Zielgruppe zugeschnittene Motto, sondern das Vermitteln eines menschenverachtenden Gesamtkonzeptes namens Nationalsozialismus.
Zwei zentrale Elemente dieses Konzeptes sind der Nationalismus und der Rassismus.
Der Nationalismus
Nationalismus beruht auf der Annahme, dass Menschen in einem bestimmten Staat leben und leben wollen, weil sie meinen zu einem jeweils besonderen Kollektiv zu gehören, mit dem sie gewisse Eigenschaften teilen. Es soll einen „natürlichen Volkscharakter“ geben, der nicht nur zum Anschluss an seinesgleichen drängt, sondern zur Unterordnung unter die vermeintlich eigene nationale und politische Gewalt. Als angebliche Belege dafür dienen scheinbare und nur vorgestellte Gemeinsamkeiten, welche eine Anzahl Menschen zum „Volk“ oder zu einer „Nation“ machen. Es gibt verschiedene dieser Gemeinsamkeiten. So kann die „Nation“ beispielsweise als eine durch das „gleiche Blut“ bestimmte Abstammungsgemeinschaft oder auch als eine durch eine gemeinsame Kultur definierte Gemeinschaft verstanden werden.
Die Sprache als Element der nationalen Identität
Als ein wesentliches Element einer gemeinsamen Kultur und Nation gilt die Sprache. Sie soll ein verbindendes Element darstellen. Allerdings wird im Nationalismus die Sprache nicht als eine Gemeinsamkeit ausgegeben, die aufgrund eines durchgesetzten staatlichen Interesses entstanden ist. Sondern sie wird als vorpolitische Eigenheit dargestellt, welcher der Staat Rechnung tragen solle. Doch eine Nationalsprache ist nicht die naturwüchsige Entfaltung der ursprünglich gesprochenen Dialekte, sondern ein Kunstprodukt der politischen Herrschaft. Es gibt kein einziges gemeinsames Interesse, das auf das Sprechen derselben Sprache zurückzuführen wäre. Ob Menschen dieselben oder verschiedene Anschauungen und Ziele haben, hat mit ihrer Sprache nichts zu tun. Dass umgekehrt aufgrund einer gemeinsamen Sprache alle tatsächlich existierenden Gegensätze und Unterschiede zwischen Menschen bedeutungslos würden, so wie es der Nationalismus behauptet, ist ein grober Schwindel und bloß für denjenigen /diejenige plausibel, der/die verlangt, dass neben der „nationalen Identität“ alle sonstigen Interessen zu schweigen haben.
Die Kultur als Element der nationalen Identität
Der Verweis auf eine gemeinsame Kultur als Grundlage des Nationalismus hat einen ähnlichen Haken. Wenn Nationalist_innen von Kultur sprechen, dann meinen sie damit zweierlei: zum einen die Alltagskultur, zum andern die sogenannte Hochkultur. Beides verstehen sie als einen „natürlichen“ Ausdruck der nationalen Identität.
Kunstwerke werden häufig als Beispiele für die jeweilige Hochkultur genommen, da sie angeblich den Nationalcharakter widerspiegeln. Anerkannte Kunstwerke sollen zur Legitimierung und zur Konstruktion der vermeintlichen Großartigkeit der eigenen Nation dienen. Durch diese Vereinnahmung der individuellen Leistungen von Künstler_innen durch den Nationalismus sollen Gemeinsamkeiten konstruiert werden. Das Resultat der Vereinnahmung dient im Zirkelschluss als Beleg für die Notwendigkeit, diese vermeintliche Gemeinsamkeit erhalten und festigen zu müssen. Diesem nationalen Kollektivismus dienend treten Nationalist_innen dafür ein, dass das „Volk“ „seine“ Dichter und Denker zumindest dem Namen nach kennen muss. Es wird deshalb darin unterrichtet, die Kunstgeschichte durch die nationale Brille zu sehen und „große Werke“ als Gegenstand des Nationalstolzes zu memorieren.
Die Geschichte als Element der nationalen Identität
Wer die Geschichte als einigendes Band beschwört, meint damit bisweilen die vergangenen Manöver vorstaatlicher Jäger und Sammler oder auch die politischen Errungenschaften des gegenwärtigen Staates und seiner Rechtsvorgänger, deren Durchsetzung in der Regel eine Geschichte kleiner und größerer Metzeleien war. Welche historischen Ereignisse dabei von den Akteuren herangezogen oder gedeutet werden, ist mehr oder weniger zufällig und abhängig von der Vermittelbarkeit im jeweilig vorherrschenden Diskurs.
Für die nationale Geschichte solle man Stolz oder auch Scham empfinden, aber vor allem sei sie als gemeinsame Sache zu denken und zu verinnerlichen, die unabhängig von jedem individuellen Interesse nationale Rechte und Pflichten lehren soll. Als Herrschaftsmechanismus dient nationale Geschichte zum einen dazu, nationalistische Positionen weiter zu etablieren, und zum anderen dazu, politische Interessen durchzusetzen. Ob es innenpolitische Verfügungen und Verhältnisse sind oder außenpolitische Ansprüche auf die Ressourcen anderer Nationalstaaten: Sache des „Volkes“ sei es, die politischen Unternehmungen seiner Herrschaft als nationale Anliegen zu begreifen und sich mit ihnen zu identifizieren.
Dafür ist es allemal erforderlich, den „kleinen” Gegensatz zwischen oben und unten, Herrschaft und Untertan_innen, Staat und Bürger_innen vergessen zu machen. In diesem Fall kann sich der Staat auf das „Volk“ als höheren Auftraggeber berufen. Der verlangte Gehorsam erscheint dann nicht mehr als Unterwerfung unter staatliche Gewalt, sondern als Ausdruck eines gemeinsamen Willens. Und je größer die nationalen Aufgaben, desto hilfreicher ist dabei die Vorstellung eines „Volkswillens“, der als zweite Natur in den Bürger_innen wohne, ob sie das nun wollen oder nicht – eben die „nationale Identität“, die den Staat ins Recht setzt.
Mit der Konstruktion der eigenen Nation geht immer auch die ausschließende Konstruktion der Anderen einher. Diese Anderen werden als unvereinbar mit der eigenen Nation beschrieben und stigmatisiert. Hieran schließen verschiedene Kategorisierungen sowie Ausgrenzungs- und Normierungsmechanismen an, die in ihrer Konsequenz dazu führen können, dass Menschen verfolgt und ermordet werden.
Rassismus und Antiziganismus
Das Denken in den scheinbar unveränderlichen Kategorien „Rasse“, „Volk“, „Nation“ „Kultur“ oder „Geschlecht” ist grundlegend für das Entstehen und Ausüben von Herrschaft. Ein Beispiel dafür ist der kulturalisierende Rassismus, wie er sich am Umgang mit (vermeintlichen) Muslim_innen zeigt. Es werden zwei Kulturen konstruiert, die unvereinbar sein sollen: zum einen die nach Deutschland „gehörende“ christlich-abendländische Kultur und auf der anderen Seite eine „muslimische“ Kultur. Wer sich der so geschaffenen Normalität nicht anpasst, gehört hier eben nicht her. Auf diese Art werden verschiedene Formen der Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung bis hin zu Mord legitimiert. An dieser Stelle sei an die zahlreichen rassistischen Morde der letzten Jahr(zehnt)e erinnert.
Eine spezielle und nicht viel beachtete Form des Rassismus ist der Antiziganismus. Dieser erst seit Anfang der 80er Jahre existierende Begriff versucht ein seit mehreren Jahrhunderten existierendes und komplexes Phänomen zu beschreiben, das hier nur ansatzweise erklärt werden kann. Als Antiziganismus erachten wir sowohl diskriminierende Praxen, die von ausschließenden Strukturen bis hin zu tödlicher Gewalt reichen, als auch kulturell vermittelte stereotype Denkmuster und Bilder. Bezugspunkt des Antiziganismus ist die Konstruktion einer vermeintlich homogenen Gruppe der Sinti und Roma bzw. die Zuordnung von Menschen zu dieser Gruppe, unabhängig davon, ob sie sich selbst dieser zugehörig fühlen.
Auch der Ausdruck „Sinti und Roma“ ist umstritten. Er ist zum einen eine Selbstbezeichnung „ethnischer” Gruppen, zum anderen ist der Begriff eine Fremdbezeichnung, die eine Vielzahl von „ethnischen” Gruppen erfassen soll. Es existieren noch weitere Selbstbezeichnungen wie z.B. Ashkali, Jenische oder Ägypter. Des besseren Verständnisses wegen verwenden wir im Folgenden ausschließlich die Begriffe „Sinti und Roma” oder „Roma”. Die Verwendung dieser Begriffe ist allerdings nicht nur auf Grund der Verkürzung auf „Sinti und Roma” kritikwürdig, sondern auch weil sie eine „ethnische” Kategorie herstellt bzw. festigt und damit auch eine entsprechende Homogenisierung und Pauschalisierung. Aber um bestimmte Formen von Herrschaft und die damit verbundene Ausgrenzung und Verfolgung sichtbar zu machen, kann die Verwendung in einem entsprechenden Kontext trotzdem sinnvoll sein. Dabei gilt es zu vermeiden, das die Kämpfe der Roma und Sinti gegen alltägliche Diskriminierungen und eine unzureichende Aufarbeitung ihrer Geschichte unsichtbar gemacht werden.
Der im Antiziganismus so konstruierten Gruppe werden zumeist negative Eigenschaften, Merkmale und Begriffe zugeschrieben. Zu diesen Stereotypen und Vorurteilen gehören auch die Zuschreibungen „kriminell“ und „asozial“. Gerade bei der Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti und anderen Menschen/Gruppen haben diese Zuschreibungen eine zentrale Rolle gespielt. Aber auch vordergründig positive Eigenschaften, wie es z.B. das Bild von den „freien“, „ungebundenen“ und „lebenslustigen“ Menschen vermittelt, stellen eine Form pauschalisierender Vorurteile und Stereotype dar und sind letztlich genauso antiziganistisch.
Historische Anfänge und Kontinuitäten des Antiziganismus
Bereits Ende des 15. Jahrhunderts kam es zu antiziganistisch motivierten Verfolgungen und Ausgrenzungen, die sich aus Vorurteilen speisten, welche bis in die heutige Zeit weit verbreitet sind. Später bei der Reichsgründung 1871 wurde der großen Mehrzahl der Sinti und Roma die deutsche Staatsangehörigkeit, die an sogenanntes „deutsches Blut“ gekoppelt war, verweigert, und sie wurden vielfach ausgewiesen. Gleichzeitig fand eine zunehmend stärker zentralisierte Erfassung und darüber eine zentral gesteuerte Verfolgung statt. Die Nazis systematisierten die bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik durchgeführten antiziganistischen Maßnahmen. Die Ausgrenzung und Verfolgung bekam eine neue Dimension und fand ihren traurigen Höhepunkt in der Ermordung einer halben Million Sinti und Roma in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Unzählige weitere wurden Opfer von Zwangssterilisation, Verfolgung und Deportation in Arbeitshäuser und Konzentrationslager.
Während der NS-Herrschaft wurden sie auf der Grundlage eines biologistischen Rassismus weiterhin als „Kriminelle“ und „Asoziale“ stigmatisiert und verfolgt. In den Konzentrationslagern wurden sie mit dem schwarzen Winkel der Häftlingsgruppe der „Asozialen“ versehen. Zu dieser Gruppe gehörten auch diverse andere Menschen, deren Vorstellungen vom Leben und deren Verhalten nicht den in der Nazi-Gesellschaft vorgesehenen Normen entsprachen. Dazu gehörten Sexarbeiter_innen, Fürsorgeempfänger_innen, junge Frauen und Mädchen, die sich nicht der geforderten Frauenrolle unterordnen wollten, Homosexuelle, Menschen, denen vorgeworfen wurde, ungenügend zu arbeiten, oder andere unangepasst oder widerständig lebende Menschen.
Auch in der neu gegründeten Bundesrepublik fanden Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung ihre Fortsetzung. In der Erfassungspraxis der staatlichen Repressionsorgane wurde und wird weiterhin mit diskriminierenden Kürzeln gearbeitet. Bis in die 80er Jahre wurde im polizeilichen Informationssystem das Kürzel „ZN“ (für „Zigeunername“) verwendet. Aktuell handelt es sich primär um die modernisierte Variante „MEM“ für „mobile ethnische Minderheit“. In weiten Teilen der Gesellschaft wurden Sinti und Roma nach wie vor mit den Kategorien „asozial“ und „kriminell“ versehen. Exemplarisch dafür steht ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1956. In diesem Urteil wurde festgestellt, dass Roma und Sinti nicht aus rassistischen Gründen, sondern aufgrund ihrer „Asozialität“ verfolgt worden seien und somit für die Zeit vor 1943 keinen Anspruch auf Entschädigung hätten. Teile dieses Urteils wurden erst 1963 aufgehoben.
Die Aktualität
Zu Veränderungen kam es erst ab Mitte der 80er Jahre, u.a. im Zusammenhang mit den Debatten um eine generelle Überarbeitung der Entschädigungsgesetzgebung und um die ausgegrenzten und vergessenen Opfer des Faschismus. Die Veränderungen waren und sind untrennbar damit verbunden, dass Sinti und Roma mit Demonstrationen, Hungerstreiks sowie Besetzungen an den historischen Orten der Verfolgung, den ehemaligen Konzentrationslagern, auf die versäumte Aufarbeitung, die andauernde Diskriminierung und die nicht erfolgten „Entschädigungszahlungen” aufmerksam machten. Im Rahmen der ab dem Jahr 2000 erfolgten „Entschädigungszahlungen“ an NS-Zwangsarbeiter_innen kam es auch zu Zahlungen an Sinti und Roma. Das Gedenken an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma ist zwar mittlerweile Teil der staatlichen Gedenkrituale geworden. Wie nachrangig es aber dort angesiedelt ist, zeigt auch der Umstand, dass für das zentrale Mahnmal, das aktuell gebaut wird, ein eher versteckter Platz im Berliner Tiergarten vorgesehen ist. Nach wie vor kann von einer historischen Aufarbeitung, welche den Opfern und Überlebenden gerecht wird, nicht gesprochen werden.
Die Aktualitäẗ von Antiziganismus ist im gegenwärtigen Europa nahezu ungebrochen. In vielen europäischen Ländern bedeutet dies offene Gewaltanwendung gegen Roma und Sinti seitens des Staates, der Mehrheitsbevölkerung und offen faschistischer Gruppierungen. Im Spätsommer dieses Jahres z.B. versuchte in Tschechien ein Mob von 1000 Menschen unweit der deutsch-tschechischen Grenze Häuser und Wohnungen von Roma anzugreifen. In Neapel löste im Mai 2008 ein auf alten antiziganistischen Klischees beruhendes Gerücht, eine Romni habe ein Kleinkind stehlen wollen, Ausschreitungen aus, bei denen ein Roma-Lager komplett niedergebrannt wurde.
Auch in der Bundesrepublik finden sich Beispiele wie der Brandanschlag auf das Haus einer Familie deutscher Sinti im sächsischen Klingenhain am 26.12.2009. In Dortmund kam es 2011 zu einer regelrechten Hetzkampagne seitens Bullen, Medien und Kommunalpolitiker_innen gegenüber Menschen aus Rumänien und Bulgarien, die hofften, den dortigen antiziganistischen Zuständen entfliehen zu können. Es wurde versucht, in der Öffentlichkeit ein Bild krimineller Roma zu konstruieren und dies als Ursache verschiedener sozialer Probleme darzustellen. Dadurch werden nicht nur mögliche Abschiebungen legitimiert und propagandistisch vorbereitet. Es wird auch ein politisches Klima geschaffen, in dem es nicht verwundern darf, wenn es erneut zu rassistischen Anschlägen und Morden kommt.
Kommt zum Ostbahnhof
Mit den Ausführungen zu Nationalismus und Antiziganismus bzw. Rassismus im Allgemeinen wollen wir deutlich machen, dass das Problem über aufmarschierende Nazis hinausgeht.
Deshalb geht es am 24.12.2011 nicht darum das AJZ vor den Nazis zu beschützen, sondern darum, sich ihnen immer und überall entgegenzustellen. Und es geht darum, die grundlegenden Herrschaftsstrukturen und die Schnittmengen von Nazis und Gesellschaft zu benennen und dagegen vorzugehen.
Ob nun aus prinzipieller Ablehnung aller Formen von Herrschaft oder aus der Einsicht, Probleme von ihren gesellschaftlichen Ursachen her anzugehen: Unser politisches Handeln kann nicht daran vorbeigehen, diese Strukturen auf- und anzugreifen.
Da die Nazis mit ihren Aufmärschen eine Ideologie der Vernichtung verbreiten wollen, fordern wir alle auf, sich ihnen entgegenzustellen. Am 24.12. wollen sie vom Ostbahnhof zum AJZ marschieren. Überlassen wir ihnen keinen Meter der Straße!